(...) Ist diese Spieluhr ein ernst zu nehmendes Instrument? Kann man damit anspruchsvoll komponieren? Wohl eher nicht. Die Kiste hat nur zwanzig Töne, die diatonisch gestimmt sind, eine C-Dur-Tonleiter über zweieinhalb Oktaven. Welcher Komponist von heute möchte sich damit schon begnügen?

In dem Instrument schlummert das kalte Herz eines Leierkasten, der weder laut noch leise kennt, der keine Farb-Valeurs zu bieten hat, der schlicht ein Klangklischee seiner selbst ist. (...)

Tom Sora, der Münchner Komponist, kennt alle diese Einwände und hat trotzdem Stücke für die Spieluhr geschrieben. Eine CD mit seinen Werken ist jetzt beim Neue-Musik-Label col legno erschienen. (...)

Tom Sora ist ... ein Freak, ein Verrückter, ein maverick, wie man in Amerika sagt und wie er im Booklet zu der CD genannt wird. Man denkt natürlich sofort an Conlon Nancarrow und seine durchgedrehten Kompositionen für das mechanische Klavier, player-piano genannt.

Obwohl Sora mit seiner Kurbelspieluhr noch viel weniger Möglichkeiten hat. Aber selbstverständlich geht es auch bei ihm darum, dass die mechanische Musik Freiheit vom Metrum gewährt. Dass unregelmäßige Rhythmen, aberwitzige accelerandi und diminuendi, die kein Mensch je realisieren könnte, möglich sind. Dass man durch polymetrische Überlagerungen mit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen spielen kann. Dass Graphisches unmittelbar in Klang umschlägt.

Sora, der Musiktheorie und Orgel studiert hat und in Ästhetik promoviert hat, spielt aber auch mit der Anmutung des Trivialen. Bei ihm läuft der Kitsch Amok. Dialektisch sucht er ausgerechnet im simpel Miniaturhaften listig nach dem Komplizierten. Die musikalische Figur der durchgestrichenen, weggeätzten oder geschredderten Infantilität kommt in seinen Werken immer wieder vor. (...)

Claus Spahn