Zusammenfassung

Im fiktiven Insel-Staate Utopia, den Thomas Morus, der Gründer der modernen Utopie, entworfen hat, determinieren radikal egalitäre Prinzipien sowohl die Struktur der Gesellschaft, als auch der Architektur und der Städteplanung bis ins kleinste Detail. Egalitäre Prinzipien generieren homogene Strukturen entweder durch die Gleichmachung der vorhandenen Diversität, oder durch die Wiederholung eines Prototyps. Bei Morus - und bei den meisten seiner Nachfolger im Reich der Utopisten - war die Wiederholung die bevorzugte Methode der Generierung von Homogenität.

Dementsprechend resultiert die geographische Struktur des gesamten Staates Utopia aus der identischen Wiederholung einer in sich geschlossenen sozial-politisch-urbanen Einheit. Dieses Prototyp aller Städte ist die Hauptstadt Amaurotum. (Sie wird zwar Hauptstadt genannt, aber sie ist mit allen anderen Städten absolut gleich.) Die Struktur der Gesamtheit des Staates ist somit strikt homogen.

Aber natürlich ist nicht alles in Utopia identisch, sonst könnte auch das einfachste Leben nicht stattfinden. Für alle wichtigen Lebensfunktionen gibt es in der prototypischen utopischen Stadt die entsprechende Infrastruktur und die nötigen Institutionen.

Aber die verschiedenen unterschiedlichen kleineren Elemente, aus denen jede Stadt zusammengestellt ist, zum Beispiel die Stadtviertel, die Häuser, die Wohnungen und so weiter, sind alle untereinander gleich. Somit gibt es auch für jedes dieser kleineren Elemente ein Prototyp, das wiederholt wird. Dasselbe gilt für die Bevölkerung, die innerhalb dieser identischen Häuser und Stadtviertel lebt. Auch sie besteht aus zahlenmäßig und funktionsmäßig genau normierten Einheiten. Diese Einheiten werden "Familien" genannt. Sie sind jedoch nicht mit normalen Familien vergleichbar.

Das bedeutet, das auch die sogenannte "Familie" in Utopia ein wiederholter Prototyp ist. Da in jedem Haus dieselbe Anzahl von "Familien" wohnt und alle Häuser identisch sind, bilden diese menschlich-architektonischen Einheiten ebenfalls ein Prototyp. Natürlich sind die vier Stadtviertel einer jeden Stadt identisch und das gilt wie gesagt ebenfalls auch für alle Städte auf der Insel Utopia.

Die größte prototypische Einheit in Utopia ist somit die "Stadt". Sie ist immer die Summe von kleineren identischen Untereinheiten, die wiederum die Summe von identischen Untereinheiten sind und so weiter auf vielen tieferen Auflösungsebenen.

Dementsprechend hat der utopische Staat immer eine bausteinartige (modulare) Struktur. Der Staat Utopia ist wegen dieser strikt repetitiven Struktur im Prinzip auch unbegrenzt erweiterbar, denn, wenn der Raum es zulässt, kann das Prototyp Amaurotum unendlich oft dupliziert werden. Morus hat als erster das Prinzip der unendlichen Expansion Desselben durch Wiederholung auf der Ebene der Theorie absolut systematisch ausgearbeitet. Diese repetitiv-homogene Struktur entspricht perfekt den radikal egalitären und kollektivistischen Prinzipien, die für das utopische Denken charakteristisch sind.

Die Homogenität und die Einheitlichkeit des Staates, die durch die Identität aller menschlich-architektonischen-Einheiten entsteht, bewirkt eine totale Entpolitisierung der Gesellschaft, da zwischen identischen Gruppen jeder Konflikte per se ausgeschlossen ist. Die strikte Wiederholung von normierten Prototypen ist die Hauptmethode der Utopie, um eine totale soziale Entropie zu erzeugen.

Die repetitiv-modulare (bausteinartige) Struktur der Stadt Amaurotum und des gesamten Staates Utopia hat nach Morus als Modell gedient für die Idealstädte der Renaissance und des 16.-18. Jahrhunderts, für die französische Revolutionsarchitektur. Das Prinzip Wiederholung-von-Prototypen ist auch für die modernen Architekturentwürfe des 20. Jahrhunderts beibehalten worden. Dabei haben nicht immer ökonomische Kriterien eine Rolle gespielt. Die Architektur und Stadtplanung mancher Architekten, wie zum Beispiel Le Corbusier, haben einem sehr starken utopischen Hintergrund.

Ab beginn des 20. Jahrhunderts haben im Zug der Avantgarde-Bewegung viele bildende Künstler utopische Sozialentwürfe geschrieben und auch als Kunstwerke/Bilder hergestellt, die die utopischen Prinzipien optisch symbolisierten. Deswegen haben sie oft das Prinzip der repetitven, bausteinartigen Strukturierung übernommen. Dies ist einer der Ursprünge der repetitiven Techniken in der Malerei. Einer der wichtigsten Vertreter dieser utopischen Malern und Sozialtheoretiker war Piet Mondrian, der ausführliche utopisch-totalitäre Texte geschrieben hat. Seine Malereien stellen ebenfalls homogene, repetitive, bausteinartige Strukturen dar.

Die modulare Kunstproduktion der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, deren fundamentales Konstruktionsprinzip die Wiederholung ist, hat oft auch einen utopischen Ideenhintergrund. Ein gemeinsamer Zug zwischen der Utopie und der repetitive Kunst ist die homogene und deswegen einheitliche Struktur ihrer Räume. Auch die Konstruktionsprinzipien der räumlichen und musikalischen Kunstwerke mit modularer Struktur sind durch die ausschließliche Wiederholung irgendeiner Einheit entstanden.

Die Dissertation ist beim Atelier national de Reproduction des Thèses, Lille, 2005 veröffentlicht. Das Buch kann bei Google-Books oder bei der Info-/Vertriebsseite WORLD CAT bestellt werden.