Michaela Fridrich:
Bei Tom Sora handelt es sich um das erste große Orchesterwerk. Wie geht er mit dieser Herausforderung um?

Lucas Vis:
Sora ist ein Komponist, der völlig in der Computerwelt zuhause ist. Seine Klangvorstellung ist ganz anders. (...) Er hat ganz klar im Kopf, was er hören will. (...) Er hat eine Partitur aufgeschrieben, die an und für sich nicht sehr schwer zu spielen ist. (...) Er hat sehr einheitlich geschrieben: es geht gerade, gerade durch, immer, immer wieder; in einem Tempo von Anfang bis zum Ende, und ziemlich dicke Klänge. So hat er das Orchester benützt. Und wenn man dann so hört, wie alle Streicher diese glissando-ähnlichen Tonleitern ganz dicht hoch gehen: Das macht sicher einen Rieseneindruck.

Michaela Fridrich:
Tom Sora ist eine sehr interessante Persönlichkeit, man kann sagen, er ist eine Art Universalkünstler, und das ist auch mit ein Grund, warum er erst jetzt seine erste Orchesterkomposition geschrieben hat. Er hat relativ spät mit dem Komponieren angefangen, obwohl er schon ursprünglich Musik studiert hatte, aber er hat in der Zwischenzeit als Bildender Künstler gearbeitet und hat sich auch wissenschaftlich mit Musik und anderen Themen, mit Politik, mit Ästhetik aus einander gesetzt und auch promoviert in dem Bereich. Merkt man dieses Universalistische in seinem Wesen, merkt man es seiner Musik auch an?

Lucas Vis:
Ja! Und ich merke es auch sehr während der Arbeit mit ihm, dass er alles in Bezug nimmt: Nicht nur Klangdetails, auch den Ablauf der Großform. Ich kann mir auch denken, dass man sich beim Hören vorstellt: Dieses Musikstück ist ein konkretes Kunstwerk, aus Stein gemacht. Und dann ist es Stein, es ist kein Holz, es ist Stein.

Michaela Fridrich:
Bei Sora ist es ja auch immer sehr wichtig, dass in seinen Kompositionen eine psychologische Stringenz da sein muss, wie in einer Argumentation. Also der Ablauf muss in sich stimmig, logisch sein; alles ist also bei ihm sehr auf den chronologischen Ablauf, auf das erzählen einer Geschichte ausgerichtet. Wie ist das in Triaden ? Kann man eine Dramaturgie der Klangereignisse beschreiben?

Lucas Vis:
Eine Dramaturgie gibt es sicher, sicher. Ich meine, es gibt Passagen, wie am Anfang, wo die ganz tiefen Instrumente (Kontra-Fagott, Bassposaune, Kontrabass-Posaune und Kontrabass) in tiefsten lagen spielen; dann gibt es Passagen, ganz klare Abschnitte, wo das Klavier, auch sehr tief, sehr prägnante Klänge macht; dann gibt es Passagen, wo die Bratschen diese Klavierstimme eigentlich immer unterbrechen mit Schreien; dann gibt es, wie gesagt, die vielen Passagen, wo die Streicher wahnsinnig schnell ihre chromatischen Tonleitern-glissandi spielen - was eine Aufregung bewirkt. Am Schluss gehen sie immer höher, höher, höher und werden langsamer, aber auch lauter, lauter, lauter und plötzlich ist dann alles vorbei. Ich war überrascht, als ich die Partitur sah. Dass das Ende so ist, wie es ist, - es ist eine Überraschung! Und dann die Unterbrechungen von den Bläsern und die virtuosen Passagen für die Marimbas (ganz schnelle Sechzehntel)... Das Material ist an und für sich einfach: Eigentlich mit wenig Material, doch eine sehr starke Komposition.

Michaela Fridrich:
Sie haben vorher gesagt, dass Sie bei Sora dieses Vom-Computer-Kommen, vom elektronischen Medium, sehr stark spüren in diesem Stück. Wie drückt sich denn das aus?

Lucas Vis:
Zum Beispiel: Wenn ein Ton geschrieben ist und der Ton dauert ein Viertel, ... eine Sekunde: Wenn jemand diesen Ton spielt ... oder singt, dann wird er immer ein decrescendo machen, der Ton wird immer etwas leiser werden, er entwickelt sich. ... Wenn man mit Komputerklängen arbeitet, [dann verändert der Computer die Lautstärke des Tons nicht]. Dann kann man den Ton auch umgekehrt abspielen. Dann hat er eigentlich einen ganz anderen Charakter [als üblich]. Das ist eigentlich was Sora, soweit ich ihn jetzt verstanden habe, am liebsten hat: Wenn die Streicher zum Beispiel einen Ton spielen, müssen sie ihn dann halten, halten, halten.